Es war einmal…
ein goldener Oktobernachmittag, an dem das KunstGUT in Mösthinsdorf bereit war für seine erste Märchenreise.
Die Tische waren liebevoll und märchenhaft gedeckt – mit Blüten, Kerzen und einem Hauch von Glitzer, der im warmen Licht funkelte. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee zog durch den Raum, und eine leise Vorfreude lag in der Luft.
Nachdem alle Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, begrüßte ich sie herzlich zum Märchennachmittag https://www.wildtulpe.com/veranstaltung/gartenmaerchen/
im Rahmen der Saalekreis Literaturtage und stellte Solveig Granz vor, unsere Märchenerzählerin. Mit ihrer ruhigen, eindringlichen Stimme nahm sie uns mit auf eine Reise in ferne Länder – hinein in die Welt der Gartenmärchen.
Der Zaubergarten – Ein Märchen aus Kasachstan
Das erste Märchen, „Der Zaubergarten“, erzählte von zwei alten Freunden – Assan und Chassen. Beide lebten in bescheidenen Verhältnissen in der weiten Steppe. Assan bestellte ein kleines Stück Land, Chassen hütete seine Schafe. Doch eines Tages traf Chassen ein großes Unglück und er verlor alles. Da nahm Assan ihn und seinen Sohn in seine Jurte auf und teilte, was er hatte – sogar die Hälfte seines Feldes. Dankbar und schweigend begannen sie, Seite an Seite zu arbeiten und zu leben. Assans Tochter und Chassens Sohn kannten und liebten sich, doch keiner von beiden hatte es jemals ausgesprochen.
Eines Tages fanden die Männer beim Arbeiten einen Kessel voller Gold. Doch keiner wollte ihn behalten – jeder wies das Glück dem anderen zu. Schließlich beschlossen sie, den Schatz ihren Kindern zu überlassen. Doch auch das noch junge Paar lehnte ab: „Was ihr aus Güte nicht annehmt, dürfen auch wir nicht besitzen. Unsere Liebe ist wertvoller als Gold.“
Rat suchend wandten sie sich an einen weisen alten Mann. Dessen jüngster Schüler gab den schönsten Rat:
„Pflanzt mit diesem Gold einen Garten für alle, die arm und müde sind – damit sie sich dort ausruhen und satt werden können.“
Der junge Mann nahm das Gold, um Samen zu kaufen. Doch unterwegs begegnete er einer Karawane, die tausende gefesselte Vögel zum Palast des Khans brachte. Aus Mitgefühl löste er alle los – und gab dafür sein ganzes Gold her.
Traurig kehrte er mit leeren Händen zurück. In der Nacht jedoch träumte er von einem bunten Vogel, der ihm zuflüsterte, dass Mitgefühl immer Frucht bringt. Als er erwachte, sah er: Die Vögel waren zurückgekehrt – mit Samen im Schnabel. Sie ließen sie auf der Steppe fallen, und schon bald wuchs dort ein wundervoller Garten, voller Bäume, Blumen und goldener Früchte – offen für alle, die Gutes im Herzen trugen.
Eine märchenhafte Pause
Nach diesem ersten Märchen genossen wir eine kleine Pause. Bei duftendem Kaffee und köstlicher, selbstgebackener Torte füllte der Raum sich mit Gespräch, Staunen und einem leisen Gefühl von Dankbarkeit. Man spürte, dass das Erzählte noch nachhallte – leise, aber tief.
Frau Holles Apfelgarten
Im zweiten Teil entführte uns Solveig, nun in neuem Gewand, in die geheimnisvolle Welt von Frau Holle – doch nicht in das bekannte Grimm’sche Märchen, sondern in eine selten gehörte Erzählung, die eine andere, tiefere Seite der Holle offenbart.
Da sprach die schöne Frau Holle zu ihrem Liebsten, dem Junker Tod: „Reite hinab zur Erde und hole mir die Alte herauf. Sie hat nun lange genug auf der Erde gelebt und es wird Zeit, dass sie zu uns kommt.“
Und so ritt der Junker Tod hinab zur Erde, klopfte bei der Alten und sprach zu ihr: „Du hast nun so lange auf der Erde gelebt, und meine Liebste, die schöne Frau Holle, will dich bei sich haben, denn in ihrem Garten gedeihen die Apfelbäume nicht mehr. Deshalb soll ich dich abholen, dass du sie dort pflegst.“
Doch die Alte war klug und voller Lebensmut. Sie bat den Tod, mit ihr ein Kartenspiel zu spielen – und gewann dreimal in Folge. So durfte sie jedes Mal noch ein Jahr auf der Erde bleiben. Erst in den heiligen Nächten, als der Tod sie erneut rief, folgte sie ihm in den Garten der Frau Holle. Dort, wo die Apfelbäume kahl und grau standen, geschah das Wunder:
Als die Alte sie berührte, sprossen neue Knospen, und Frau Holle berührte sie im Gegenzug – da wurde die Alte jung und schön. Mit neuer Kraft begann sie, die Bäume zu pflegen, und bald trugen sie wieder reiche, glänzende Früchte.
Dieses Märchen erzählt leise und tröstlich vom Kreislauf des Lebens – von Loslassen, Neubeginn und jener geheimnisvollen Verjüngungskraft, die entsteht, wenn Fürsorge und Liebe die Welt verwandeln.
Ein märchenhafter Ausklang
Als die letzten Worte verklangen, blieb der Raum still – als wollte niemand den Zauber brechen. Dann folgten Applaus, Lächeln und leise Gespräche.
Zum Abschluss durfte sich jede und jeder Gast aus einem Korb einen Apfel mitnehmen – duftend und leuchtend rot.
Ein kleiner Gruß aus Frau Holles Garten – und vielleicht auch ein Symbol jener Verjüngungskraft, von der die Märchen erzählen:
Nicht die der Jugend, sondern die des Herzens.
Denn wer sich verzaubern lässt, wer zuhört, teilt und mitfühlt, wird auf seine Weise immer wieder jung.
So endete unsere erste Märchenreise im KunstGUT – still, warm und voller Dankbarkeit.
Ihre Bianca Reuter
Netzwerkmanagerin KunstGUT Mösthinsdorf
Wildtulpe – Mösthinsdorfer Heimatverein e.V.
Vielen Dank an den Saalekreis: